7/16/2012

Distanz

Leise fielen die Schneeflocken vom Himmel, als ich aus dem Fenster schaute. Aufgrund des Wetters verspätete sich der Zug - wieder einmal. 7 Stunden sollte die Fahrt dauern. 7 Stunden, bis ich endlich meine Freundin wiedersehen würde. Schon bald, als wir losgefahren waren, verschwanden die Häuser in der verschneiten Landschaft immer mehr und die Dunkelheit überzog das ganze Land. Die tief veschneite Landschaft draußen,  die Zeit die sich nur langsam vor sich hinschleppte und  mein knurrender Magen, führten dazu, dass ich mich so unendlich einsam fühlte. Ich schaute auf meine Uhr und ich musste noch 6 Stunden fahren. 6 Stunden warten.
An jenem Tag, damals als sie mich angerufen hatte, da hatte ich ihren Kummer und ihre Sorge in ihrer Stimme gespürt, doch ich konnte ihr kein einziges tröstendes Wort sagen. Dafür habe ich mich so sehr geschämt. Wie hätte ich sie aufhalten sollen? Und wie es so kommen musste, zog sie weg.

In sozusagen kleinen Schritten bewegte ich mich in die Richtung des Bahnhofs, auf den meine Freundin auf mich wartete. Der Zug musste ja auch jedesmal eine halbe Ewigkeit an jedem doch so kleinen Bahnhof halten. Aufgrund des heftigen Schneefalls hielt der Zug irgendwann mitten im Nirgendwo an. Volle zwei Stunden stand der Zug in dieser öden, verschneiten Landschaft und jede einzelne Minute kam mir wie eine ganze Ewigkeit vor. Ich kam zu spät. Und wie ich sie kenne, würde sie auf mich warten. Weitere 2 Stunden. Die Zeit meinte es ganz offentsichlich nicht gut mit mir, denn sie floss nur ganz langsam an mir vorbei. Ich biss die Zähne zusammen und versuchte verzweifelt, die Tränen zu unterdrücken. Aber mir blieb gar nichts anderes übrig als da zu sitzen und auszuharren.
Und nach Stunden des Wartens kam ich endlich an. Es war schon dunkel und nur spärlich wurde der Gleis beleuchtet. Sie saß auf ner Bank vergrub ihr Gesicht hinter ihrem dicken Schal. Ich rief ihren Namen und sie schaute mich mit ihren verweinten Augen an. Ich küsste sie.
Und in diesem Augenblick hatte ich das Gefühl zu wissen, was Ewigkeit ist, zu wissen, wo die Seele sich befand. Ich hatte das Gefühl, als  hätte ich jeden einzelnen Moment meiner 20 Jahre mit ihr zusammen verbracht. Doch im nächsten Augenblick wurde ich ganz unsagbar traurig. Ihre Wärme, ihre Seele, wie hätte ich sie mir bewahren sollen? Wie hätte ich sie mit mir nehmen sollen. Denn jeden Tag trennten uns 7 Stunden - Ich wusste es einfach nicht.
Mir wurde klar, dass wir vermutlich auch  keine gemeinsame Zukunft haben würden. Denn vor uns lag unabänderlich unser ganzes Leben. Ein schier endloser, unbegrenzter  Zeitraum. Aber diese Sorgen, die ich mir machte, schmolzen schnell wieder dahin und zurück blieben mir ihre wunderbaren, weichen Lippen.
Die aller schönsten Lippen dieser Welt.